Es ist früh Herbst geworden. Die Anreise zum diesjährigen New Pop Festival des Radio Senders SWR3 nach Baden-Baden verläuft in Stau und Regen. Nur weil Autofahrer bis heute nicht wissen, wie Reißverschluss bei Karlsruhe funktioniert, gibt’s 14km Stau oder besser 1 Stunde Verzögerung. Insgesamt habe ich für die Hinfahrt doppelt so lange wie für die Rückfahrt gebraucht. Eisenbahn wäre vielleicht eine Option gewesen, doch die Strecke ist aktuell noch unterbrochen.

Rokoko-Theater in Baden-Baden
Endlich Baden-Baden
Endlich in Baden-Baden. Die Einfahrt zur Stadt wurde wohl vor Jahren schon umgestaltet und mit Tempolimits verkleidet, wobei die an sich gut ausgebaute Strecke rein physikalisch viel höhere Tempi erlauben würde, die man aber nicht will und diesem Willen mit allerlei fotographischen Apparaturen am Straßenrand Ausdruck verleihen muss. Oder werden Gelder zur Stadtsanierung benötigt? Wir wissen es nicht.

Baden-Baden wird umgebaut
23 Jahre New Pop
Das New Pop Festival wurde vor 23 Jahren erstmals „erfunden“: Damals fanden die Konzerte noch in echten Fernsehstudios oder einer realen Autofabrik statt, die dafür extra ihre Produktionshallen ausräumte. Irgendwann war das wohl zu viel Aufwand und zu wenig Wirkung. Der gute Stern wurde gegen die Ringe getauscht. Musik bedeutet schließlich ja zuhören. Audi ist lateinisch und heißt zu deutsch „Horch“. Das war eine legendäre Automarke in den 1900er Jahren, Gründer Horch stieg irgendwann aus und gründete schon 1915 ein eigenes Unternehmen Audi (um Rechtsstreitigkeiten zu umgehen), das heute zum Volkswagenkonzern („Das Auto“) gehört.
Mit dem Auto bis zum Parkhaus unter dem Kurpark und hinein ins Vergnügen. Die im Laufe der Jahre gewählten Kurhaus Arkaden sind eine praktische Location, weil alles kurzläufig auf einem Fleck präsentiert werden kann. Bühnen zum Video gucken, Bühnen für Kurzauftritte und launige Interviews zum Beispiel mit Pierre M. Krause, der Meister der nicht ganz fertig ausgesprochenen Sätze, gewürzt mit leichten und mitunter auch schlüpfrigen Insider Gags. Oder fachkundiges Musikwissen dargebracht von Matthias Kugler. Ich mag kompetentes Radio, von Leuten mit Herzblut. Davon sollte es mehr geben.
In den Arkaden kann man Fanartikel erwerben, sich (selbst) fotografieren (lassen)

Selfies schießen beim NewPop Festival
Da steht auch der bereits erwähnte automobile Sponsor mit ein paar wenigen Prunkstücken. Informationen außer einem ca.-Preis zum gezeigten Modell „Q2“ (40 kiloEuro) kann der freundliche Promoter nicht mitgeben, also keine technischen Daten, Preislisten oder Angebote Probefahrten, nicht mal eine Visitenkarte des örtlichen Handelspartners. Ja warum sind die Sponsoren eigentlich da?
Baden-Baden ist anders
Wer aus der Provinz nach Baden-Baden kommt, sollte wissen, dass hier andere Preise aufgerufen werden. Das Winzer-Steak-Brötchen für 6 Euro, die Bratwurst für 4 Euro, die Schlagen wollen dennoch nicht abreissen. Auf der anderen Seite der Straße die Tüte belgische Pommes für 3,50 und ein Crepe ab 3 Euro sind schon ok.
Verlassen wir kurz den Kurpark und schlendern über den roten Teppich in und durch die Altstadt. Die befindet sich im Auf- Ab- und Umbruch. Da wird gerade der Hauptkanaltunnel ausgetauscht und manche Häuserfronten sind verschwunden oder geben einen schaurig morbiden Einblick auf die Stadt.
Dafür ist am Freitag das Wetter traumhaft, strahlend blauer Himmel wenige Wolken und nach einem ersten Schock – wo ist mein Eiscafé vom letzten Jahr? Es ist noch da, ich war in der falschen Parallelstraße. Also einen Milchkaffee und einen Apfelstrudel genossen und den interessanten Gesprächen mit der „steinreichen“ Urbevölkerung (?) gelauscht.
Der rote Teppich durch die „Lange Straße“ hat unter dem vorherigen Dauerregen gelitten, vor dem Modehaus Wagener spielen neue unbekannte Bands. Es geht weiter Richtung Bahnhof.
Strenge Ordnung im Schauspielhaus
Das Festspielhaus war früher Baden-Badens Hauptbahnhof. Weil es der Bahn und den Passagieren irgendwann zu umständlich wurde, mit einem Vorort-Zug nach Baden-Oos zu fahren und dort in die internationalen Fernzüge umzusteigen, wurde die Stadtbahnstrecke vor vielen vielen Jahren abgerissen. Die ehemalige Station Baden-Oos heißt jetzt Baden-Baden und ist sogar ein ICE-Halt.
Doch die Wächterinnen des ehemaligen Bahnhofs sind streng: Nur bestimmte Sitze, jegliche Garderobe muss vorher abgegeben werden, die Sitzplätze sind wohl handsigniert und auf jeden Fall durchnumeriert.
Anne-Marie, die dreifache Karateweltmeisterin singt fröhlich und unbekümmert. Schnell wird klar, das ist nicht so ein Popsternchen, die man in 3-4 Wochen wieder vergisst, nein da ist jede Menge Potential dahinter. Anne Marie ist seit jüngsten Jahren ein Fan von Alanis Morisette, eine der frühen NewPop-Entdeckungen in Baden-Baden. Anne Maries Bühnenshow ist minimalistisch. Wo ihr Livekamerabild in Schwarz-Weiß auf die Background Wall übertragen wird, könnte man sich vorstellen, dass sie auch Musical oder Jazz singen könnte. Anne-Maries Geheimnis scheint ein umfangreiches Netzwerk von Künstlern zu sein, die sich treffen und miteinander etwas singen oder produzieren. Mit Ed Sheeran (war auch schon in Baden-Baden) ist sie seit etwa 10 Jahren privat befreundet und wenn sie sich nicht über Musik austauschen, schauen sie mal eine Staffel „Game of Thrones“ an einem Abend am Stück.
Pop meets Rokoko
Das Rokoko-Theater immer wieder rappelvoll und wunderschön, welche Musik mögen sich die Erbauer damals angehört haben? Am Freitag war es JP Cooper. Ein netter, freundlicher Singer Pop-Song-Writer, der Spass hat und mit Spass vermittelt, dass es hinter den Rotations“hits“ noch viel mehr interessantes Songmaterial zu hören gibt.
Von Rotation, Musikformaten und Überraschungen…
Bei aller Musik-Rotation, Radioformat und der Jagd nach ausreichenden Einnahmen, um so ein Festival durchfinanzieren zu können, gibt es immer wieder musikalische Überraschungen. Und allzuoft kommen sie aus … Island. Eine Band namens Kaleo, die einen hawaiianischen Namen gewählt hat (Kaleo steht für „Klang/Stimme“), die schon als Vorgruppe der Rolling Stones auftrat und die das Baden-Badener Kurhaus mit herrlich erdigen Bluesrock-Grooves erzittern lässt.
Frontman Jökull Júlíusson, kurz J.J. spielt auf der Resonator-Metall-Gitarre. Wie die SWR3-Moderatoren Volker Janitz und Marcus „Barschi“ Barsch richtig vermuten, liegt Memphis kurz hinter Reykjavik und ich vermute darüber hinaus, dass Blueslegende McKinley Morganfield eigentlich Matti Waterson (statt Muddy Waters) hieß.
Drei Mobilfunknetze, davon patzen ein bis zwei
In meinem Blog geht es normalerweise um Mobilfunk und das soll auch bei meinem Baden-Baden Report so sein. Ich war mit allen drei Netzen in Baden-Baden. Geschwindigkeitsmäßig lag Vodafone oft höher als die Telekom. Im entscheidenden Moment im Schauspielhaus, als eine wichtige email mit einem PDF-Anhang eintrudelte, der geöffnet werden sollte, versagten sowohl o2 als auch Vodafone. Nur die Telekom öffnete die Mail und schwupp war das angehängte PDF-Dokument da. Vodafone leistete sich sonst keine Patzer. Bei o2 war es spürbar besser als im letzten Jahr. Wenn es aber zu voll wird, geht o2 am ehesten in die Knie. Mag auch daran liegen, dass die Mehrheit der Besucher rein statistisch betrachtet eine Karte von o2 dabei gehabt haben könnte. Meine vor Ort ermittelten Messergebnisse habe ich auf Twitter übermittelt.
Ein Rückblick
Die Rückfahrt aus Baden-Baden absolut problemlos. Dass Tankstellen ab 22 Uhr um 20 Cent pro Liter aufschlagen, dafür kann die Kurstadt und sein kultiger Sender nix. Das SWR3-Radio übernimmt ab 12 Uhr die ARD Nacht, wo das NewPop Festival aber nicht wirklich stattfindet. Schade, da hätte man doch ruhig noch von den Dancefloor Locations berichten können.
Das New Pop Festival ist in die Jahr gekommen, vieles ist längst Routine. Der Bezug zum Radiosender ist da und doch nicht mehr so wie früher. Die Radio-Macher/innen des Radios bleiben – vom Webstream abgesehen – weitgehend unsichtbar verborgen oder an Locations, die sie bewusst geheim halten. Es fehlt das „Familiäre“ der Anfangsjahre. Zum 25. soll und muss es Veränderungen geben, die sich beim 24. schon ankündigen sollten. Die Radiolandschaft ist unüberschaubar geworden. Klassisches Radio gibt’s längst gar nicht mehr, es findet im Internet in Bild und Ton statt. Dabei ist einiges verloren gegangen. Ich finde die Hörer müssen wieder mehr mitgenommen, Ernst genommen werden. Das Radio muss wieder intellektueller und informativer, kantiger und sperriger werden.
Bestimmt kommt das auch – irgendwie – irgendwo – irgendwann.
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